Wem gehört das Land? Bauernkämpfe in Indonesien

 

In englischer Sprache

In Indonesisch

Im Dezember 2008 überfielen 500 Polizisten und private Schläger den Weiler Suluk Bongkal in der Provinz Riau, vertrieben die Bewohner. Zwei Militärhubschrauber warfen Napalm ab, um die 700 Hütten abzufackeln. Zwei Kinder wurden getötet, 200 Leute festgenommen, die anderen konnten fliehen. Der Überfall geschah im Auftrag des Sinar Mas-Konzerns.

In Indonesien ist nur ein kleiner Teil des Bodens mit einem Besitztitel versehen - auf der Hauptinsel Java etwa ein Drittel, auf den anderen Inseln noch weit weniger. Nicht alle Streitfälle werden bekannt, es sind hunderte, möglicherweise tausende mit Toten (2011 schon mindestens sieben Opfer), Verletzten, Verhaftungen. Aber die Kämpfe sind immer lokal, es gibt so gut wie keine Verbindung zwischen ihnen.


1610: Die Verenigde Oostindische Compagnie VOC errichtet ihren ersten Handelsposten in Ambon

1619: Die VOC erobert Batavia (das heutige Jakarta). Sie monopolisiert den Handel und unterwirft die Raja/Könige, indem sie sie gegeneinander ausspielt

1800: Die VOC ist bankrott; der holländische Staat übernimmt direkt die Verwaltung

1811: Die Engländer erobern Batavia und Jawa während der Kontinentalsperre gegen Napoleon, die keine Verstärkung der Truppen vor Ort zuläßt

1814: England gibt die Verwaltung der Kolonie an Holland zurück, was dann beim Wiener Kongreß bestätigt wird

1830: Ein System von Zwangsanbau (Zucker, Kaffee) wird eingerichtet

1924: Partai Komunis Indonesia gegründet

1942: Japan besetzt weite Teile des heutigen Indonesiens

1943: Die japanische Militärverwaltung führt ein System von Zwangsarbeit ein, dabei werden 100 000e in andere Teile Asiens verschleppt

1945: Noch unter japanischer Beseazung wird die Republik Indonesia ausgerufen

1945: Holländer erobern Batavia, der nationale Befreiungskrieg (mit von den Japanern zurückgelassenen Waffen) dauert bis 1949

1950: Indonesien wird Mitglied der UNO

1965: Ein Militärputsch bringt Soeharto an die Macht; in den folgenden Monaten werden hunderttausende “Kommunisten” umgebracht, vor allem auf dem Land

1998: Soeharto wird auf dem Höhepunkt der “Asienkrise” gestürzt

1998 bis ca 2001: Zeit der “Reformasi”: Indonesien ist ein ziemlich freies Land und beginnt, die Geschichte aufzuarbeiten. Diese Bewegung versandet aber, z.T. weil die alte Elite ihren Einfluß zurück gewinnt.

Herrschaft, Ausbeutung, Raub: Kurzer Abriss über die Bauerngeschichte

Indonesien könnte das Paradies sein: tropisches Klima, fruchtbarer Boden, Wasser im Überfluss. Möglicherweise gab es deshalb im vorkolonialen Feudalismus keinerlei Vorstellung darüber, dass der Boden jemandem gehören könnte. Feudalismus ist durch persönliche, direkte Gewalt- und Herrschaftsbeziehungen definiert. Dazu braucht es Ideologie (Religion) und Waffen, die nur auf der einen Seite verfügbar sind.

In Europa gab es, als Erbe des römischen Kaiserreichs, bei den Herrschenden und bei den Beherrschten immer einen Bezug zum »eigenen« Land - trotz der Wanderungen, der vielen Vertreibungen durch Kriege, Fehden usw. Der Bauer arbeitete auf »seinem« Land und das blieb - im Prinzip - auch so, wenn der Herr wechselte. Ihm zahlte er von dem, was er »seinem« Land abgerungen hatte, eine Feudalsteuer, zum Beispiel den »Zehnten« an die Klöster.

In Indonesien besaß ein Fürst kein Land, er besaß Bauern, Gefolge. Diese hatten Kopfsteuer zu entrichten. Wenn ein Raja einem Unterling ein neues Gebiet zuwies, brachte der »seine« Bauern mit und vertrieb die Ansässigen. Den Bauern wurde Land zugewiesen, auf dem sie die zu zahlende Kopfsteuer erwirtschaften sollten (Onghokham, 11f). Eine Vorstellung von Land als »Besitz« gab es weder bei den Herrschenden, noch bei den Beherrschten. Da die Bevölkerungsdichte gering war, gab es für die Leute immer die Möglichkeit, sich irgendwo ein neues Stück Land urbar zu machen.

Die Kopfsteuer wurde dorfweise entrichtet, der Dorfvorsteher hatte dafür zu sorgen, dass sie erbracht werden konnte. Die Bewässerung der Reisfelder ist üblicherweise eine gemeinsame Anstrengung des Dorfes; so wurde auch der Boden gemeinsam, d.h. durch den Dorfvorsteher, verwaltet. Mal wurde er nach jeder Ernte neu verteilt, mal nur, wenn der bisherige Besitzer starb.1 (Kano, 60)

Die Vorstellung von »Landbesitz« wurde von den Kolonialmächten gebracht. Die holländische VOC verwaltete allerdings nur einen kleinen Teil der Fläche direkt; sie zwang die Fürsten, Abgaben zu zahlen, so dass sich erst wenig änderte - außer dass die Ausbeutung der Bauern verschärft wurde. Erst die Engländer (während der »Kontinentalsperre« 1806-14) führten westliches Recht und die Idee von Eigentum ein. Sie sprachen den gesamten Grund und Boden dem Staat, d.h. dem Adel zu, der es den Dorfvorstehern verpachten konnte und die wiederum an die Bauern (Vlekke, 300). Die Holländer luchsten später den Adligen ohne Ausnahme den Boden gegen die Zahlung einer kleinen Apanage wieder ab - die hatten überhaupt nicht verstanden, was sie da wieder hergaben. Die Folge war, dass die Dorfvorsteher und die einheimischen Regionalverwalter (»Bupati«) reich wurden, die Masse der Bauern verarmte, viele erlagen schrecklichen Hunger- und Krankheitsepidemien. Die Bauern waren aber nicht nur Erdulder, sondern wehrten sich - indem sie flohen oder indem sie sich an Aufständen beteiligten. Im 18. und 19. Jahrhundert gab es »fast jedes Jahr« lokale Bauernaufstände (Mustain, 125). Privater Großgrundbesitz (wie etwa auf den Philippinen) ist nie entstanden - am Ende der Kolonialzeit erbte die Republik Indonesia riesigen Staatsbesitz.2

Die junge Republik übernahm zunächst die Gesetze der Kolonialmacht, ergänzt durch das Prinzip »Das Land denen, die es bebauen«. »Abwesende Besitzer« wurden enteignet, umverteilt aber wurde kaum. 1960 begrenzte das Gesetz zur »Landreform« die Größe von privatem Grundbesitz und sprach jedem Bauern Grundbesitz zu. Das Gesetz gilt im Prinzip heute noch, umgesetzt wurde es nie. Allerdings nahmen die armen Bauern, die millionenfach im Bauernverband der Kommunistischen Partei PKI organisiert waren, die Landverteilung oft selbst in die Hand. Das Massaker »an den Kommunisten« nach dem Militärputsch 1965/66 war im Kern ein Massaker an den armen Bauern durch die reicheren Grundbesitzer, die um ihren Besitz fürchteten. Die Diktatur unter Soeharto versuchte wenig erfolgreich, mittels der Staatsplantagen eine »Grüne Revolution« durchzuführen. Die Staatsplantagen verwalteten aber nicht nur alten Staatsbesitz, sondern rissen auch Land der Bauern an sich, vor allem der Bauern, die als »Kommunisten« um ihr Leben fürchteten und sich nicht wehrten. Etwa 40 Prozent des Bodens der Staatsplantagen seien gestohlen, meinte der Präsident von 2000, Abdurrahman Wahid. (Dunia Dalam XX, 14). Die Armut auf dem Land nahm nicht ab.

Um das Jahr 2000 zählen etwa 42 Millionen Familien (124 Millionen Menschen) als Bauern, von ihnen besitzen knapp zehn Millionen Familien gar kein Land und weitere zehn Millionen weniger als einen halben Hektar. Von den 190 Millionen Hektar Landfläche in Indonesien besitzen die Bauern knapp acht Millionen, die Staatsplantagen 23 Millionen Hektar (FMN)3. Seit dieser Zeit wächst eine dritte Partei, die vorher nicht so wichtig war: privatkapitalistische Plantagen.

Es geht vor allem um die Ölpalme. Vor hundert Jahren eingeführt, gedeiht sie am besten in Moorgebieten, d.h. in frisch gerodetem Urwald. Umfassten die Palmölplantagen 1995 noch eine Million Hektar, sind es heute mehr als sechs Millionen. Wie viel Waldmoorland dafür abgeholzt wurde, weiß so richtig niemand; sicher ist, dass noch Konzessionen für weitere 41 Millionen Hektar Wald offen sind und trotz kürzlich beschlossenem Abholz- »Moratorium« genutzt werden können. (The Jakarta Post, 10.11.10)

Auseinandersetzungen um Land werden heute an zwei Fronten geführt, die sich manchmal überschneiden. Seit dem Sturz Soehartos kämpfen viele Bauern um die Rückgabe des Landes, das ihnen während der Diktatur zugunsten der Staatsplantagen geraubt worden war; viele Fälle sind noch nicht entschieden. Und seit wenigen Jahren nehmen die Streitfälle zwischen Bauern und privaten Plantagenfirmen zu, die von irgendwoher ein Nutzungsrecht bekommen haben und das Land der Bauern in Beschlag nehmen.

 

 


Primärwald auf Sumatra von 1900, 1960, 2000 und 2010

Statistik und Wirklichkeit: Beispiel Tapsel

Tapanuli Selatan war früher ein sehr ländlicher, dünn besiedelter und armer Regierungsbezirk. Etwa 300 km südlich vom Toba-See gelegen, gehört er noch zur Provinz Nordsumatra. Seit dem Gesetz zur »Autonomie der Gebiete« 2004 ist die Zentralregierung nur noch für den Primärwald zuständig, für das übrige Land die Bezirksverwaltung, die großzügig Genehmigungen zur Einrichtung von Ölpalmenplantagen verteilte. Immer mehr private Firmen kamen und kauften Land von den Ansässigen. Die waren meist erstmal ganz erfreut, da die Firmen auch für Land zahlen wollten, das für die Bauern bislang wertlos war. Es war nicht viel Geld, aber mehr, als die Bauern je gesehen hatten. Es soll sogar Demonstrationen gegeben haben von Bauern, deren Land nicht gekauft worden war.

Meist kam das Kapital unter irgendeinem einheimischen Namen. Die Nutzungsgenehmigung des Bupati für ein Stück Land wird gewöhnlich stillschweigend auf den benachbarten Urwald ausgedehnt. Sollte dies vom Forstministerium entdeckt werden, ändert die Firma den Namen. Da der Wald dann aber bereits gerodet ist, fällt die Zuständigkeit automatisch an den Bupati. Oder Wald wird direkt zum Sekundärwald »umgewandelt«. Newmont etwa hat sich der Hilfe von NGOs versichert, die die Orang Utans und gegebenenfalls Tiger etc. »retten«, d.h. einfangen und in Reservate bringen. Ohne zu schützende Tiere ist der Wald ein Sekundärwald...

Die ehemaligen Bauern versuchen, sich mit dem Geld eine neue Existenz aufzubauen, was häufig schief geht - wie viele Taxis oder Kramläden braucht ein Dorf? Sie werden über kurz oder lang Landarbeiter auf den Plantagen; wenige schaffen es, in die Stadt umzuziehen.

Viele Bauern verkauften nicht, weil ihnen die Entschädigung zu gering war, andere wollten nicht in die Abhängigkeit der Plantage geraten. Hier entwickelten sich schnell Konflikte, denn mit der Einrichtung von Plantagen wird andere Landwirtschaft unmöglich: Man kann keinen Reis inmitten von Palmwäldern anbauen - alle Plagen der Gegend, vor allem die Mäuse, würden sich auf das verbliebene Feld stürzen (siehe auch: Situmorang1). So sind auch die Bauern gezwungen, auf den ihnen verbliebenen oder auch neu zugeteilten Flächen Ölpalmen anzupflanzen.

Aber auch andere Konflikte gibt es: es kommt vor, daß sich mehrere kapitalistische Firmen um das gleiche Stück streiten   und die Bauern in diesen Streit hineinziehen.

Die Proteste von Bauern oder ehemaligen Bauern wurden mit der vereinigten Macht des Kapitals, des Staates und der Kirche (in diesem Fall die evangelische Batak-Kirche) eingedämmt, es ist ein Klima der physischen und psychologischen Einschüchterung entstanden. Das früher ruhige, rückständige und arme Tapsel ist heute in drei Bezirke unterteilt, besitzt Hotels und drei Flugplätze und einen ständig besetzten Posten der Mobilen Einsatztruppe der Polizei.

Der Berichterstatter, ein erprobter Aktivist der Gewerkschafts- und Umweltbewegung in Nordsumatra, stammt selbst aus der Gegend, seine Familie lebt dort noch auf eigenem Land. Er sieht derzeit keine Chance für den Aufbau einer offenen Protestbewegung. Deshalb will er anderswo ansetzen: Die Arbeit der Bauern ist höchst unproduktiv. Er denkt, wenn sie produktiver, also etwas weniger arm wären, wären sie nicht so anfällig für den Betrug durch das Kapital. Letztes Jahr hat er die erste Motorhacke in sein Dorf gebracht.

 

 

Beispiel Persil 4/Tungkusan: Geister der Vergangenheit

Die Bauern des Dorfes Persil 4, etwa 40 km von Medan, Nordsumatra, entfernt, waren Opfer der Kommunistenhetze nach dem Soeharto-Putsch 1965/66. Ihnen war schon 1956 der Boden als Besitz zugesprochen worden, doch nach dem Putsch wurden sie zugunsten der Staatsplantage enteignet. Nach 1998 begannen zwei ältere Männer, die alten Urkunden herauszusuchen und die anderen Bauern dafür zu gewinnen, sich den Boden zurück zu holen. Es geht um etwa 400 Familien mit einem Anspruch von 0,8 bis 2 Hektar pro Familie. Es waren jahrelange Anstrengungen, in denen die immer noch vorhandene Angst überwunden und auch die Jungen, die längst ein Auskommen in der Stadt haben, überzeugt werden mussten. Sie beschritten den juristischen Weg, aber gleichzeitig auch den direkten: Bei der ersten Besetzung kam es gleich zu Auseinandersetzungen mit Schlägern, die die Staatsplantage in der Stadt angeheuert hatte, bei der mehrere Leute schwer verletzt wurden - unter der Beobachtung eines starken Polizeiaufgebots. Danach war der Mut der Leute etwas gedämpft, aber auch das Interesse linker Studenten aus Medan geweckt, die sie seither moralisch und mit Öffentlichkeitsarbeit und Rechtsbeistand unterstützen. Tatsächlich war der juristische Weg nach jahrelangen Prozessen erfolgreich: das Oberste Gericht sprach ihnen das Land zu, die Staatsplantage muss für die ganzen Jahre der Diktatur Pacht nachzahlen. Das war aber nicht das glückliche Ende, denn das gesprochene Recht muss im immer noch antikommunistisch geprägten Korruptionssumpf im Umfeld der Staatsplantagen durchgesetzt werden. Die Staatsplantage bezahlt bisher weder Pacht, noch lässt sie die Leute das Land betreten - mit der Begründung, dass ihr vielleicht nicht das Land, aber die Palmen gehören. Weitere Besetzungen, weitere Schlägereien folgten; die Leute haben jetzt selbst »Schläger« angeheuert - Leute aus Nachbardörfern, denen sie einen Anteil am möglichen Gewinn versprechen.


 Bekanntmachung: Das Nutzungsrecht hier hat die Zuckerfabrik - Nach dem Gesetz von 2004 -

Auf dem Gelände der Zuckerfabrik Takalar ist Anbau und das Weiden lassen von Vieh verboten

 

Beispiel Polongbangkeng, Takalar: Enclosures 2008

Takalar in Südsulawesi ist etwa eine Stunde von Makassar entfernt. 1960 hatten die Bauern die Gegend besiedelt und mit Ackerbau angefangen. 1978 kam die Firma eines einflußreichen Politikers und nahm das Gebiet für den Zuckerrohranbau in Beschlag. Sie bekam die Genehmigung für den Bau einer Zuckerfabrik; die Bauern sollten mit wenig Geld entschädigt werden. Diese wehrten sich schon damals, zur Zeit der Diktatur aber ohne Erfolg. Aber nur sehr wenige nahmen die Entschädigung an. Die Firma gab das Land an eine Staatsplantage, die 1980 eine Nutzungsgenehmigung für 25 Jahre bekam. Um das Jahr 2000 fingen die Bauern erneut mit Aktionen an; als 2005 die Genehmigung formal ausgelaufen war, besetzten sie Teile der Fläche und pflanzten Mais an. Die Bewegung griff auf benachbarte Dörfer über, wo ebenfalls Land besetzt wurde. 2008 erneuerte der Bupati des Bezirks Takalar die Genehmigung der Staatsplantage auf 4500 Hektar bis 2024 - Zucker war gefragt, der Weltmarktpreis hoch, während der Mais und das Vieh der Bauern wenig zur Entwicklung der Gegend (und damit wenig zum Einkommen des Landrats) beizutragen schien. Im Oktober 2008 erschoß die Mobile Einsatztruppe der Polizei vier Bauern, die gerade ihr Vieh vom Feld treiben wollten. Seitdem ist die Atmosphäre hier und in den Nachbardörfern angespannt. Viele Bauern wollen aber die Bewegung aufrecht erhalten und versuchen mit Nadelstichen - etwa Sabotage an den Bewässerungsanlagen - den Zuckerrohranbau zu stören. Die Polizei erscheint immer wieder und verhaftet willkürlich Leute. Das ist auch der Grund, warum sie sich im Geheimen organisieren und keine »Führer« entstehen lassen, auch wenn es natürlich örtliche Autoritäten gibt. Gleichzeitig sind sie aber sehr offen gegenüber Menschen, die sie unterstützen. Mit der antiautoritären Gruppe Kontinum aus Makassar gibt es ein sehr freundschaftliches Verhältnis.

Noch haben die Bauern kleine Gärten vorm Haus. Da man davon nicht leben kann, versuchen sie ihr Glück in Makassar (auf dem Bau oder als Becak (Rikscha)-Fahrer) oder gehen saisonweise nach Malaysia, um sich dort auf Plantagen zu verdingen. Auf der Zuckerrohrplantage im Dorf arbeiten sie nicht - die bringt zur Ernte Landarbeiter von der Insel Java, die in armseligen Baracken untergebracht werden.

 

 

Bauern, Landarbeiter und Kapital

Romantische Vorstellungen, dass einfache, traditionelle Landwirtschaft produktiv und dabei nachhaltig ist, sind Illusion. Es gibt so gut wie keine gewachsene »traditionelle Landwirtschaft«: dass eine Familie seit mehr als drei Generationen den selben Boden bebaut, dürfte die absolute Ausnahme sein. Kolonialismus, Krieg, japanische Besetzung, Befreiungsbewegung und die Transmigrasi-Politik der Diktatur haben die Gesellschaft auch örtlich ziemlich durcheinander gemischt. So versucht halt jeder Bauer, etwas aus dem Boden zu holen und benutzt dazu wenig mechanische, sehr oft aber übergroße Mengen an chemischen Hilfsmitteln.

Wie viel Grund und Boden schon in die Hände anonymen Kapitals geraten ist, weiß unter den Bedingungen Indonesiens niemand. In Kalimantan (Borneo) zum Beispiel besitzen (als Eigentum oder Nutzungsrecht) zehn bekannte Großunternehmen (Sinar Mas, Lonsum, Indofood, Bakrie u.a.) 5,3 Millionen Hektar. Dazu dürfte einiges im Besitz von Tarnfimen kommen. Und viele andere sind auf der Jagd nach Land - für Plantagen, Bergwerke (von Kohle bis Gold), die viel Land verschlingen oder als Spekulationsobjekt. Relativ neu ist die Absicht der Regierung, Kapital zur Errichtung von »Food Estates« anzuwerben. 1,6 Millionen Hektar sollen allein bei Merauke auf West Papua bereitgestellt werden - die Produktion soll nächstes Jahr beginnen. Der Hauptinvestor kommt angeblich aus Saudi-Arabien.

In den 80er und 90er Jahren gingen die Bauern - vor allem die jungen Männer und Frauen - entweder in die städtischen Fabriken oder (auf Java) die Fabriken kamen aufs Land. Diese Perspektive bietet sich heute nur noch selten, da kaum mehr neue Textil- oder Schuhfabriken entstehen. Die Alternative ist - vor allem für Leute, die in die Stadt pendeln können - Arbeit auf dem Bau oder allgemein im informellen Sektor. Der erlebt aber gerade eine Rationalisierungswelle nicht gekannten Ausmaßes. An jeder Ecke entsteht ein klimatisierter, 24 Stunden geöffneter kleiner Supermarkt, der genau das verkauft, was früher die StraßenhändlerInnen verkauft haben: Zigaretten, Klopapier, Getränke, Snacks. Zigtausende Franchise-Betriebe von Circle K, IndoMaret, 7eleven, Alfa etc. haben in den letzten vier Jahren aufgemacht, inzwischen dringen sie auch in die Dörfer vor. Carrefour will allein in diesem Jahr 1000 eröffnen. Fahrradbecaks (die klassische Arbeit für frisch in die Stadt gekommenen Bauern) werden mehr und mehr durch die teureren Mopedbecaks verdrängt. Neben der vorübergehenden Migration - Männer nach Malaysia, Frauen in die Golfstaaten - werden die meisten Bauern schlicht zur Landarbeiterin oder zum Landarbeiter werden.

 

 

Industrialisierung der Landwirtschaft: Fabrik oder Manufaktur?

»Die heutigen Lebensbedingungen der Plantagenarbeiter sind nicht weit von denen der Kolonialzeit entfernt« (Situmorang2, III), so ein Aktivist aus Medan. Das gilt vor allem für die Staatsplantagen und die alten kapitalistischen Plantagenfirmen (wie z.B. die London Sumatra). Die Staatsplantagen entsprechen bis heute dem kapitalistischen Produktionstyp der Manufaktur: sie beruhen auf Handarbeit, auch wenn es natürlich den einen oder anderen Traktor gibt. So produzieren Plantagen in Malaysia 33 Tonnen Rohpalmöl per Hektar und Jahr; die Plantagen in Indonesien 24 Tonnen und die Kleinbauern 14 Tonnen (Protes!, Feb., März 2010).

Die neuen Plantagen scheinen etwas moderner zu sein, aber nur graduell. Auch sie orientieren sich an den Verhältnissen in den Staatsplantagen. Es gibt wenige Festangestellte, deren Lohn nicht sehr hoch ist, die aber immerhin die üblichen Sozialleistungen haben. Es gibt »feste Tagelöhner«, die einen Vertrag haben (von dem die meisten nicht wissen, was drin steht) und die »freien Tagelöhner«, die nach Bedarf und Saison beschäftigt werden. Das können dann schon mal hunderttausend pro Plantage sein. Die Staatsplantagen haben umstandslos die Verhältnisse der späten Kolonialzeit übernommen, was man schon an der Sprache erkennen kann: Die Tagelöhner werden als »Annemer« bezeichnet, die einzelnen Gebiete heißen »Afdeling« usw. Die Soeharto-Diktatur hat verdiente Militärs mit der Leitung der Staatsplantagen betraut, was diese zu Zentren der Korruption gemacht hat. Die Zusammenarbeit zwischen Staatsplantage, Polizei, Militär, ehemaliger Staatsgewerkschaft ist mehr als eng. Linke Gewerkschaften hatten während der Reformasi-Zeit 1998-2002 bescheidene Organisationserfolge unter den Kulis; unter dem Druck von Gewalt, Einschüchterung, Bestechung sind sie so gut wie verschwunden. Es gibt heute viele NGOs oder »Gewerkschaften«, die sich irgendwie um die Bauern kümmern. Sie machen Schulungen zu besseren Anbaumethoden, organisieren im Konfliktfall Öffentlichkeitsarbeit und juristischen Beistand. Um die Plantagenarbeiter kümmert sich praktisch niemand. Mit der bemerkenswerten Ausnahme des KPS in Medan.

Der Lohn der Tagelöhner reicht auch bei überlanger Arbeitszeit nicht, um zu essen und die Kinder in die Schule zu schicken. Auch nicht, wenn beide Eltern auf der Plantage arbeiten und oft die Kinder auch noch helfen. Sie schlagen sich zusätzlich mit etwas Landwirtschaft, mit Nachbarschaftshilfe, mit Tageskrediten von Wucherern durch. Die Kinder haben keine Chance, mehr als die Grundschule zu absolvieren.

Die Kleinbauern wissen das alles und sie wissen auch, dass ihre Arbeits- und Lebensformen nicht wirklich eine Zukunft haben, ganz abgesehen davon, dass viele Junge eh schon weg sind. Sie kämpfen um ihr Recht, um angemessene Entschädigungen, gegen weitere Verarmung. Letztendlich kämpfen sie dagegen, Landarbeiter zu werden. Daß die Geschehnisse auf dem Land wenig Aufmerksamkeit einer städtischen Öffentlichkeit erlangen, trägt zusätzlich dazu bei, daß diese Kämpfe mit harten Bandagen gefochten werden. Polizei und private Schläger im Dienste der Plantagen gehen mit großer Brutalität vor; die Bauern mit Zähigkeit, großem Mut und einer Militanz, die oft vor keiner Eskalation zurückschreckt. Ihre Kämpfe sind die derzeit wichtigste gesellschaftliche Auseinandersetzung in Indonesien.

Entscheidend wird sein, ob ihre Kämpfe die Landarbeiter inspirieren, ob sich eine neue Bewegung der Landarbeiter und Bauern entwickeln kann - also eine revolutionäre Bewegung auf dem Land, die es in Indonesien schon einmal gegeben hat. Die Interessen von Landarbeitern und Bauern sind tatsächlich nicht identisch, aber ihre Lebensräume und Lebenserfahrungen sind vergleichbar und überschneiden sich. Bis zu einer Situation wie in Madagaskar 2009, wo eine Regierung gestürzt worden ist, weil sie die Hälfte des Ackerlandes an Daewoo verpachtet hatte, ist allerdings noch ein weiter Weg.

Dieser Artikel erschien in leicht gekürzter Form in der wildcat 90.

Literatur:

Onghokham: Perubahan Sosial di Madiun Selama Abad XIX: Pajak dan Pengaruhnya terhadap Penguasaan Tanah; in: S.M.P. Tjondronegoro dan Gunawan Wiradi (Hrsg), Dua Abad Penguasaan Tanah, Jakarta 2008
Kano: Hiroyoshi Kano, Sistem Pemilikan Tanah dan Masyarakat Desa di Jawa pada Abad XIX; in: S.M.P. Tjondronegoro a.a.O.
FMN: Front Mahasiwsa Nasional, Monopoli Atas Kepemilikan Tanah dan Perampasan Tanah Kaum Tani Menyebabkan Buta Aksara di Pedesaan Begitu Tinggi, 2010 (http://bandungmelawan.wordpress.com/2010/10/02/monopoli atas kepemilikan tanah dan perampasan tanah kaum tani menyebabkan buta aksara di pedesaan begitu tinggi/), Stand 7.7.11
Situmorang1:Maginar Situmorang, Strengthening Peasant and Plantation Workers Movement in North Sumatra, 27.11.10
Vlekke: Bernhard H.M. Vlekke, Nusantara - Sejarah Indonesia, 1961 / Jakarta 2008
Mustain: Dr. Mustain, Petani vs Negara: Gerakan Sosial Petani Melawan Hegmoni Negara, Jogjakarta 2007
Dunia Dalam XX 2009: Dunia Dalam, Zeitschrift des Konsortium Pembaruan Agraria
Protes!- dari Buruh untuk Keadilan, Zeitung der Gruppe KPS in Medan, 3-4/2010
Situmorang2: Dr. Manginar Situmorang (Hrsg), Buruh Harian Lepas, Studi Kajian Hubungan Kerja, Upah dan Kesejahteraan di Perkebunan Sumatera Utara, KPS, Medan, 2008


1Um einem verbreiteten Irrtum vorzubeugen: Grundlage dieser Ordnung war die Kleinfamilie. Ein Mann kam in den Kreis der Anspruchsberechtigten und Kopfsteuerpflichtigen, sobald er geheiratet hatte.

2Dies gilt so für die Insel Java. Auf anderen Inseln gab es auch andere Formen des Feudalismus, etwa ausgeprägte Sklaverei in Südsulawesi. Aber da steckt die historische Forschung noch in den Anfängen.

3Es gibt auch andere Zählweisen, so geht das Statistische Amt von 25 Millionen Bauernfamilien 2003 aus. Das scheint dem Autor wenig realistisch. Worin sich alle einig sind: die Zahl der Bauern mit wenig Land nimmt zu und die Größe ihres Landbesitzes nimmt ab.


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Juli 2011