Nordkorea - Paradies der Arbeiterklasse?

Als die Japaner 1910 Korea annektierten, herrschten noch feudale Verhältnisse auf der Halbinsel. Die Kolonisierung brachte neben vielen Grausamkeiten aber auch eine anfängliche Industrialisierung mit sich. In diesem Zuge etablierten sich neben einer bürgerlichen Unabhängigkeitsbewegung auch bald kommunistische Gruppen, deren Aktivitäten sich gegen die Kolonialmacht richteten. Vor allem aber bekämpften sich die verschiedenen Gruppen gegenseitig und das mit Vorliebe bewaffnet. Die Überlebenden gründeten dann im Jahr 1925 die Kommunistische Partei. Aber auch innerhalb dieser Organisation gingen die Flügelkämpfe weiter, woraufhin die Kommintern 1928 die Partei für aufgelöst erklärte. Die meisten Kommunisten gingen ins Exil nach China, in die Mandschurei und die Sowjetunion, wo sie Partisanengruppen bildeten, welche die japanischen Besatzer attackierten. Aufgrund ihrer schlechten Bewaffnung waren ihre Aktionen aber weniger effektiv, so daß sich nicht wenige Partisanen der chinesischen Roten Armee unter Mao Zedong oder der sowjetischen Roten Armee anschlossen.

Nach dem Sieg der Alliierten über das kaiserliche Japan im Jahr 1945 wurde die koreanische Halbinsel von den Siegermächten USA und UdSSR besetzt und am 38. Breitengrad geteilt. Nach den anfänglichen Vorstellungen der Siegermächte sollten baldmöglichst gesamtkoreanische Wahlen stattfinden und eine gemeinsame demokratische Regierung gebildet werden. Der Ausbruch des Kalten Krieges ließ dies aber zu einer nicht verwirklichbaren Illusion verkommen.

Im Norden hieften die Sowjets Kim Il-sung, einen unbekannten Kommandeur einer im Grenzgebiet zwischen der UdSSR und China operierenden Partisaneneinheit, an die Macht. Im Süden wurde eine US-hörige Regierung unter Lee Syng-man installiert. Nord und Süd hatten Alleinvertretungsansprüche. Beide Seiten sprachen der jeweils anderen Seite jegliche Legitimität ab.

1948/49 zogen die Besatzungstruppen ab. Die UdSSR hinterließ eine für damalige Verhältnisse hochgerüstete nordkoreanische Armee, die USA eine südkoreanische Armee, die man eher als größere Polizeitruppe bezeichnen konnte. Die USA wollten damit sicher stellen, daß der Süden, der sehr wohl expansionistische Ambitionen gegen den Norden hegte, sich nicht zu unkontrollierbaren Abenteuern hinreissen lassen konnte. Die in Südkorea verbliebenen US-Truppen, einige hundert Soldaten, verfügten über einige dutzend Panzer.

Seit 1948 herrschten in Südkorea, vor allem im südlichen Teil und hier vorrangig auf der Insel Jeju, bürgerkriegsähnliche Zustände. Kommunistische Guerillas bekämpften das Regime in Seoul, welches seinerseits blutigst zurückschlug. Weit über 10.000 Zivilisten wurden dabei ermordet.

1950 war das Regime in Seoul soweit geschwächt, daß Kim Il-sung die vermeintliche Gunst der Stunde wahrnahm und in Südkorea einmarschierte. Von Moskau hatte er vorher grünes Licht bekommen. Schon zu DDR/SU-Zeiten wurde darüber offen auf sowjetischen Militärakademien gesprochen, daß es - in scharfem Gegensatz zur offiziellen Propaganda im Osten - sehr wohl der Norden war, der den Süden uberfallen hatte. Kim Il-sung spekulierte auf die Schwäche der südlichen Streitkräfte und auf eine passive Haltung der UdSSR bei einer eventuell bevorstehenden Resolution des UN Sicherheitsrates gegen den Einmarsch. Und wirklich, die SU blieben der entsprechenden Sitzung einfach fern. Mit einem Veto hätte die UdSSR die Bildung der internationalen Streitmacht, die später den Süden befreite, verhindern können. Auch war der SU klar, daß Nordkorea einer solchen Streitmacht nichts entgegen zu setzten hatte. Soviel bekannt ist, spekulierte die SU von Anbeginn damit, daß früher oder später die VR China sich gezwungen sehen mußte, in den Konflikt einzugreifen. Das ganze war nichts weiter als pure Machtpolitik, um langfristig die Chinesen als potentielle Rivalen zu schwächen.

Nach dem Eingreifen der Internationalen Streitmacht - zuvor hatte die nordkoreanische Volksarmee fast den gesamten südlichen Teil der Halbinsel erobert - wurde die nordkoreanische Armee schlichtweg aufgerieben. Nachdem die UN-Truppen die chinesische Grenze erreicht hatten, konnte nur das Eingreifen der chinesischen Freiwilligen-Verbände das Blatt noch einmal wenden. Während des Koreakrieges gingen beide Seiten mit unvorstellbarer Brutalität vor. Dem Norden wird vorgeworfen, weit über 100.000 Südkoreaner ermordet zu haben, der Süden ist ebenfalls für den Tot zehntausender Menschen verantwortlich. Die amerikanische Luftwaffe bombte vor allem den Norden nahezu in die Steinzeit.

[Anm. der Red. Als Beispiel für die Verbrechen in diesem Krieg siehe das Massaker von No Gun Ri]

Nach dem Waffenstillstand 1953 - ein Friedensvertrag wurde bis heute nicht ausgehandelt - lag die koreanische Halbinsel in Schutt und Asche. Dank der Hilfe der UdSSR und der VR China konnte sich der Norden relativ schnell erholen. Über mehr als ein Jahrzehnt war der Norden der weitaus entwickeltere Teil der Halbinsel. Der Süden, wie auch schon zur Zeit der japanischen Besatzung, war eher agrarisch geprägt. Erst ab Mitte der 60er Jahre begann die Industrialisierung in Südkorea (Republic of Korea, ROK). Die überaus harte Unterdrückung aller fortschrittlichen Regungen und die krasse Armut eines Großteils der Bevölkerung in der ROK - Südkorea wurde bis in die 80er Jahre von sich ablösenden Diktaturen regiert - ließ für viele die DVRK (Demokratische Volksrepublik Korea, Nordkorea) durchaus attraktiv erscheinen.

In den 80er Jahren begann sich die Schere zwischen Nord und Süd im umgekehrten Sinne zu öffnen. Einerseits verschaffte die wirtschaftliche Entwicklung in der ROK einer breiteren Masse einen gewissen Wohlstand, andererseits konnten sich die Menschen im Süden seit dem Ende der 80er Jahre demokratische Rechte erkämpfen. Während der Norden immer mehr erstarrte und größenwahnsinnige Projekte das Land langsam, aber sicher in den wirtschaftlichen Ruin führten.

Von Anbeginn ist die DVRK einen sehr eigenen politischen Weg gegangen, immer balancierend zwischen Moskau und Beijing. Im Inneren hatten vor allem die Unterstützer der Politik Moskaus nicht viel zu lachen. Periodisch stattfindenden Parteisäuberungen fielen Unmengen moskautreuer Kader zum Opfer - und häufig nicht nur im übertragenen Sinne. Mit den Unterstützern der maoistischen Politik ist, aus Rücksicht auf den mächtigen Nachbarn, etwas behutsamer umgegangen worden.

Nach der Befreiung 1945 wurden zuerst alle potentiellen Rivalen Kim Il-sungs aus dem Wege geräumt. Danach kamen die Kollaborateure an die Reihe, gefolgt von den Führern und Mitgliedern demokratischer und nationaler Organisationen.

Gulag-ähnliche Lager für politisch mißliebige Personen wurden schon kurz nach der Befreiung eingerichtet. Sippenhaft bis ins dritte Glied sind selbst heute noch üblich. Selbst kleinste Verstöße gegen die "sozialistische" Ordnung werden mit Lagerhaft bestraft. Derzeit sollen etwa 200.000 Menschen in Lagern dahinvegetieren. In Südkorea sind wahre Horrorgeschichten im Umlauf, denen man bestimmt nicht immer Glauben schenken sollte. Trotzdem ist anzunehmen, daß es in den Lagern nicht gerade lustig zugeht. Wenn man in Betracht zieht, daß schon die normale Bevölkerung nichts zu lachen hat, dann kann man davon ausgehen, daß in den Lagern eher grauenhafte Zustände herrschen.

Das Leben der "Normal"bevölkerung ist bis ins kleinste reglementiert. Eine Regel besagt beispielsweise, daß der Mensch 8 Stunden arbeiten, 8 Stunden die Schriften Kim Il-sungs studieren und 8 Stunden schlafen sollte. Wie man daran erkennen kann, ist da für persönliche Angelegenheiten nicht gerade viel Spielraum gelassen worden.

Die Privatsphäre ist auf ein Minimum beschränkt. Besuche untereinander sind unüblich - man könnte ja, da möglicherweise unbeobachtet, auf den Gedanken kommen beispielsweise über die aktuelle Politik sprechen?

Selbst für ausländische Besucher ist alles reglementiert. Damit man ja nicht auf den Gedanken kommt, etwas alleine zu unternehmen, wird man von früh bis spät von einem Kim Il-sung-Denkmal zum anderen geschleift. Zur Abwechslung gibt es dann den Kumsungsan Palast - das Mausoleum für den 1994 verstorbenen Parteichef Kim Il-sung, der nach seinem Tode zum "Präsidenten auf Ewigkeit" gekührt wurde. Wenn dann noch immer etwas Zeit zur Verfügung steht, wird man wahlweise in den Geburtsort Kim Il-sungs gekarrt oder man darf sich die Internationale Freundschaftsaustellung zu Gemüte führen, in der eine reiche Auswahl der Geschenke zu bestaunen ist, die Kim Il-sung von ausländischen Politikern und "hervorragenden Persönlichkeiten" bekam. Den selben Schwachsinn gibt es natürlich auch für Kim Jr., den "Geliebten Führer" Nordkoreas.

Überhaupt ist der Personenkult um den "Großen Führer" Kim Il-sung von nichts zu übertreffen. Er war schlichtweg der "genialste Mensch, den der Himmel jemals hervorbrachte" so die nordkoreanische Parteipropaganda.

Alles in allem hat die Politik im Norden ganz und gar nichts mit Sozialismus zu tun. Abgesehen davon, daß die "Klassiker" des Marxismus/Leninismus nirgends erhältlich sind, muß man das Ganze eher als rotlackierten Feudalismus konfuzianischer Prägung bezeichnen.

Der Zusammenbruch der UdSSR und Abbruch der bisherigen Handelsbeziehungen zu den ehemaligen "sozialistischen" Ländern brachten die nordkoreanische Ökonomie zum kollabieren. Heute bezieht Nordkorea seine Devisen vor allem aus seinem schwunghaften Handel mit Waffen. Seit den 70er Jahren wird in der DVRK Opium angebaut und in Form von Heroin "exportiert". Erst im April wurde an der australischen Küste ein nordkoreanischer Frachter aufgebracht, der Drogen im Wert von nahezu 50 Millionen Dollar an Bord hatte. Kenner Nordkoreas sagen dem Regime auch nach, Falschgeld in Umlauf zu bringen. In den 90er Jahren wurden Kuriere - ehemalige Mitglieder der japanischen Rote Armee Fraktion, die in Pyeongyang im Exil lebten - an der kambodschanisch/vietnamesischen Grenze mit Koffern voller gefälschter Dollarnoten aufgegriffen. Einen nicht unbeträchtlichen Posten von Nordkoreas Einnahmen machen die Überweisungen aus, die in Japan lebende Koreaner an das Regime schickt. Diese Gelder werden vorrangig in der Glücksspielindustrie erwirtschaftet, wo auch die japanische Yakuza mitmischt.

Seit Beginn der 90er Jahre - mehrerere Flutkatastrophen hatten nun auch die Landwirtschaft ruiniert - folgt eine Hungersnot der nächsten. Seit dieser Zeit ist das Land fast vollständig von ausländischen Hilfslieferungen abhängig. 1994 setzte die DVRK eine Nuklearkrise in Szene, mit dem Ziel möglichst billig an umfangreichere Hilfslieferungen heranzukommen. Im Gegenzug der Versicherung Nordkoreas sein Nuklearprogramm einzufrieren, verpflichteten sich die USA gemeinsam mit Südkorea und Japan zwei Leichtwasserreaktoren zu bauen und Heizöl zu liefern, um so die nordkoreanische Energieversorgung wenigstens teilweise sicher zu stellen.

Mit dem Beginn der aktuellen Nuklearkrise - der Norden spekulierte einmal mehr damit, den Westen einfach unter Druck zu setzen zu können - stellten die Geberländer alle Hilfslieferungen, Nahrungsmittel ausgenommen, ein. Daraufhin hat der Norden schrittweise an der Eskalationsschraube gedreht, das Überwachungsteam der Internationalen Atomenergiebehörde des Landes verwiesen und ist aus dem Atomwaffensperrvertrag ausgestiegen.

In der US-Administration ist man sich derzeit darüber uneins, wie mit Pyeongyang umzugehen sei. Eine Fraktion würde den Norden liebend gerne in Schutt und Asche Bomben, ein anderer Teil will die DRVK einfach aushungern lassen. Was die Situation auf der koreanischen Halbinsel auch nicht unbedingt sicherer macht. Viele denken hier, daß es in der US-Administration schon ausgemachte Sache ist, daß der nächste Kandidat auf der Liste der zu stürzenden Regimes in Pyeongyang sitzt.

Christian Karl, Seoul, Mai 2003


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